Kein Mensch innerhalb und außerhalb der Tempelmauern wusste, wer diese Frau ist, die von den Gesetzen des Universums und des Schöpfungsrhythmus sprach. Keiner, auch nicht ER. Deine Welt stand Kopf, nahmst du doch an, dass zumindest ER alles durchschaut und erkennt. Du hast nichts weiter getan als das umzusetzen, was ER dich in all der Zeit gelehrt hat und bist deinem inneren Ruf gefolgt. Doch die Erkenntnis, dass deine Essenz, also du vor seinen Augen verborgen bleiben kann, säte einen Keim des Zweifels in dir. Die zweite Tür der Spaltung ward geöffnet.
In den darauffolgenden Wochen und Monaten teiltest du dein Bewusstsein, so wie du es während deiner Einweihungszeremonie im Sarg erfahren und zuvor gelernt hattest. Du führtest deinen Alltag und dein Leben fort und gleichzeitig schicktest du den höchsten Teil deines Bewusstseins auf Beobachtungsreise. Dieser Teil verfolgte jeden Schritt von IHM um eine Antwort auf die Frage zu finden, weshalb er dein Geheimnis nicht entschleiern kann.
Ein Fest stand vor der Tür. Es war das Fest des großen Sonnengottes Ra. Zu seinen Ehren trafen sich tausende und abertausende von Menschensöhnen an den Pyramiden an. Dein Platz war zusammen mit den anderen Hohepriesterinnen am Kopf des Festzugs, direkt hinter dem Pharao. Ihr ward seine Schultern.
Der Pharao ging ins Innere der Pyramide. Die anderen Hohepriesterinnen und du hatten ihren Platz draußen am Fuß der Pyramiden. Ihr standet in Form einer Raute und spracht eure Gebete vor euch hin. Das tatest du auch. Warst hier in der Raute mit den anderen Hohepriesterinnen, dein Körper sprach die Gebete, doch dein Bewusstsein hast du ausgedehnt, immer weiter, bis sich ein Teil deiner Seele direkt neben dem Pharao befunden hat und dieser mit ihm ins Innere der Pyramide lief. So konntest du sehen, hören, jedoch vor allem fühlen, was sich innerhalb der Pyramide abspielte.
Der Pharao stellte sich auf den Altar, der sich direkt unter der Spitze der Pyramide befand. Er streckte seine Arme zur Seite, leicht in Richtung Himmel geneigt, legte seinen Kopf in den Nacken, so dass sein drittes Auge nach oben blickte. In diesem Moment schien es, als ob sich die Pyramide an ihrer Spitze nach oben hin öffnete. Ein gewaltiger Energiestrom floss herab und direkt in den Körper des Pharaos hinein. Doch sie floss nicht hindurch, wie du es von dir gewohnt gewesen bist, sondern blieb auf Höhe des Herzens stecken, endete dort abrupt und dehnte sich von dort aus seinem Körper wieder heraus. Du fragtest dich, wie ER das halten kann, ohne dass es seinen Körper zerreißt und seine Nerven verbrennen.
Du standest die ganze Zeit über an der Seite in der Nähe der beiden Wächter. ER beendete sein Ritual. ER ließ die Arme sinken und auch seinen Kopf. ER nahm einen Bruch in der Energie des Raumes wahr und ließ seinen Blick schweifen. In diesem Moment kreuzten sich eure Blicke und ER erkannte dich. Deine Tarnung war aufgeflogen, dein Geheimnis entdeckt. Doch anstatt Vorwürfe, sahst du nur Liebe in seinem Blick.
Die Palastwachen führten dich oder besser den Teil deiner Seele, die sich innerhalb der Pyramide befand, ab und begleiteten ihn hinaus zu deinem Körper. Du standest da und mit einem Mal erkannten dich alle. Jeder einzelne Mensch hier an diesem Ort. Du hörtest Worte rufen. „Wie konntest du nur?“, fragten sie dich. Du nahmst all das um dich herum wahr, doch du bliebst still.
Sie führten dich zu einer Anhöhe und stellten dich auf einen Felsen. Zu deinen Füßen all die Menschen des Volkes. Es flogen Steine zu dir herauf. Einige trafen dich, andere wiederum nicht. Dein Körper fiel zu Boden und starb schließlich. Du spürtest nichts. Keinen Stein, keinen Schmerz. Nichts.
Es ward dunkel und still.
Du träumst.
Träumst all die Bilder, Geschichten und Szenen von der Zeit nach deiner Einweihung erneut.
Du wachst auf.
Dein Körper eingemummelt in einem warmen Federbett und öffnest die Augen. Alles scheint gleich, doch nichts mehr wie es war. Ein zartes Lächeln umgibt deine Lippen, ein alter neuer Glanz liegt in deinen Augen. Du bist wach und alles ergibt plötzlich einen Sinn.